Von Phonebox Libraries und Book Exchanges

In Cargreen (Cornwall).
Author: oatsy40
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Um die Zukunft englischer Öffentlicher Bibliotheken sieht es nicht sehr rosig aus. Im Laufe der Jahre wurden immer mehr von ihnen geschlossen, meist aus Geldmangel der Kommunen. Die Zahl der Entleihungen und der aktiven Benutzer ging zurück; das Internet hat sich fest in den Waden der Bibliotheken verbissen, um es einmal bildlich auszudrücken. „Video killed the radio star“ hieß es 1979 in einem Song der Buggles, ersetzt man „Video“ durch „Internet“ und „Radio star“ durch „Bibliotheken“ hat man in etwa die Situation, die wir heute in England, aber nicht nur dort, haben.

Da Menschen aber immer wieder erfinderisch sind, kam man in kleineren Orten auf die Idee, einen Ersatz zu finden, indem man Micro Libraries oder Telephone Box Libraries aufstellte. Zwar haben diese nur ein Minimalangebot an Büchern, CDs und DVDs, dafür haben sie rund um die Uhr geöffnet, kosten nichts, man muss sie nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückbringen, braucht keine Mahngebühren zu bezahlen und kann die ausgeliehenen Bücher auch notfalls behalten, indem man andere aus seinem Besitz dafür hinbringt.

Ausgemusterte Telefonzellen der British Telecom sind ja schon für alle möglichen und unmöglichen Zwecke verwendet worden, zum Beispiel als Defibrillatorenstation, als Nachtclub, als Museum, als Konzerthalle, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Warum also nicht auch als Bibliothek? Und da für viele Menschen die roten Häuschen in ihrem Ort aus traditionellen Gründen unverzichtbar sind, obwohl dort so gut wie niemand mehr telefoniert, passte das sehr gut zusammen. Die erste Telefonzellenbibliothek wurde schon 2009 aufgestellt und wenn die Zahlen noch stimmen, gibt es in der Grafschaft Somerset die meisten von ihnen. Eine der ersten, wenn nicht sogar die erste Micro Library, steht in Westbury-sub-Mendip in Somerset, initiiert durch die Dorfbewohner, als die Fahrbibliothek den Ort nicht mehr aufsuchte.

Egal wie man diese Miniaturbibliotheken nennt (community kiosk, swap box, book exchange, swap shop), ich finde diese Idee gut. Sie sind natürlich keine echte Konkurrenz für professionell geleitete Bibliotheken, die hoffentlich noch lange bestehen bleiben, aber sie tun dem Gemeinschaftsgeist der Dörfer gut. Außerdem: Die eigenen, ausgelesenen Bücher verstopfen nicht mehr die Regale, man kann sie der Allgemeinheit zur Verfügung stellen, die sich darüber freut, dass sie zum Nulltarif Lesestoff bekommt…was wiederum die Buchhändler nicht freuen dürfte. Auch Kinder freuen sich über Bücher, die sie sich in den Minibibliotheken aussuchen können wie dieser Film zeigt.

Das Buch zum Artikel:
Rachael Lucas: The Telephone Box Library. Pan 2020. 400 Seiten. ISBN 978-1509882779.

In Impington (Cambridgeshire).
Author: Michael Dales
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In Brinkworth (Wiltshire).
Author: Anguskirk
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Published in: on 15. Februar 2021 at 02:00  Comments (4)  
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Defibs und K6s oder Wie aus ehemaligen Telefonzellen Lebensretter werden

Eine umgewandelte Telefonzelle in Terling (Essex).    © Copyright Robin Webster and   licensed for reuse under this Creative Commons Licence.

Eine umgewandelte Telefonzelle in Terling (Essex).
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Der sich rasant durchsetzende Mobilfunk läutete das Totenglöckchen für zahllose Telefonzellen in aller Welt, natürlich auch in England. Die von dem Architekten Sir Giles Gilbert Scott ursprünglich entworfenen K1 bis K8 genannten Zellen gehörten jahrzehntelang zum Stadtbild bzw. „Dorfbild“ jeden Ortes; jetzt sind viele abgebaut und entsorgt worden bzw. ganz anderen Zwecken zugeführt worden. Ich berichtete darüber schon in meinem Blog.
Die 1936 eingeführten roten K6-Telefonzellen waren am weitesten verbreitet und am beliebtesten. Da heute fast jeder ein Handy besitzt, werden die verbliebenen Zellen nur noch wenig genutzt; trotzdem tut man sich schwer damit, sie nun alle zu verschrotten.

Jemand kam auf eine geniale Idee: Die roten gusseisernen Telefonzellen werden einfach in Lebensrettungsstationen umgewandelt, indem in ihnen Defibrillatoren installiert werden. Ein Defibrillator kann durch gezielte Stromstöße Herzrhythmusstörungen wie Kammerflimmern und Kammerflattern beenden (so die Wikipedia). Gerade in etwas abgelegeneren Dörfern wird es schon etwas dauern, bis ein Notarzt oder ein Krankenwagen eintrifft, und so kann sich ein Defib als lebensrettend erweisen. Jedermann weiß, wo die auffällige rote Telefonzelle steht, die mit dem Hinweis „Defibrillator“ versehen ist, das medizinische Gerät ist trocken und sicher untergebracht und es soll so einfach zu bedienen sein, dass jeder damit umgehen kann. Falls man den Defibrillator benötigt, wählt man die Notrufnummer 999 und erhält einen Code, um das Gerät aus der verschlossenen Box holen zu können. Nach Öffnung des Deckels erklärt eine Stimme was Schritt für Schritt getan werden muss.

Die Gemeinden können für die symbolische Summe von £1 von der British Telecom eine Zelle „adoptieren“, der Community Heartbeat Trust installiert das Gerät und obendrein spendiert die British Coatings Federation rote Anstrichfarbe im Wert von £75, damit die Telefonzelle wieder ansehnlich aussieht.

Die Aktion ist eine klare Win-Win-Situation für alle Beteiligte.

Dieser Film zeigt eine Defib-Station am Beispiel von Ashwell in Rutland.

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Published in: on 11. Mai 2015 at 02:00  Comments (3)  
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Mein Buchtipp – John Timpson: Requiem For a Red Box

Foto meines Exemplares.

Foto meines Exemplares.

1989 ist das Buch „Requiem For a Red Box“ von John Timpson schon erschienen und lange im Buchhandel vergriffen, aber über Online-Antiquariate leicht zu bekommen. Über meinen absoluten Lieblingsschriftsteller John Timpson und seine Bücher habe ich in meinem Blog bereits mehrfach berichtet (z.B. hier). Er hat einfach einen unvergleichlichen feinen Humor und es ist ein Genuss, seine Bücher zu lesen. Leider ist er schon 2005 gestorben.

In dem heute von mir vorgestellten „Requiem For a Red Box“ beschäftigt sich John Timpson mit den englischen Telefonzellen und zwar den klassischen roten, die noch immer zu den Wahrzeichen Englands zählen, obwohl die British Telecom ihnen den Garaus gemacht hat und sie immer seltener zu finden sind.

Es begann alles im Jahr 1921, als das Post Office standardisierte Telefonzellen aufstellte und sie kurzerhand K1 nannte. Aber irgendwie konnte sich niemand so recht für diese Zellen begeistern, und so beauftragte man den berühmten Architekten Sir Giles Gilbert Scott, einen neuen Typus zu entwerfen. Scott, der sich im Laufe seiner Karriere vor allem mit dem Bau von Kirchen beschäftigt hatte, kreierte die K2 genannte Telefonzelle, die sofort „einschlug“ und zur Mutter aller folgenden „red boxes“ werden sollte. Die K3 entwarf auch noch Scott, dann nahm das Post Office die Gestaltung seiner Zellen selbst in die Hand und entwickelte die K4 und K5, mit nur geringem Erfolg, so dass man die K6 wieder in Scotts Hände legte, der damit den sogenannten Jubilee Kiosk schuf, der ab 1936 in den Straßen Englands zu sehen war. Als Scott 1960 starb, standen rund 60 000 Red Boxes in ganz Großbritannien. Es folgten noch die K7 und K8 in den 1960er Jahren, als dann aber 1984 die British Telecom entstand, war das das Ende der roten Telefonzellen. In wenigen Jahren ließ die BT 30 000 abreißen und durch die neuen KX100 ersetzen, die bei weitem nicht die „Aura“ der Vorgänger besaßen.

Von den 60 000 mittlerweile unter Schutz gestellten „jubilee kiosks“ stehen heute noch etwas über 2000 Exemplare in Großbritannien. Alle anderen K1 bis K8 wurden.bis auf wenige Ausnahmen, entweder verschrottet oder an Liebhaber verkauft, die daraus alles Mögliche gemacht haben wie Hausbars, Duschen, Bibliotheken oder ein Mini-Pub.

Timpson hat sein Buch mit vielen Fotos von Neil McAllister und Val Corbett illustriert. Da sind u.a. Bilder von total überwucherten oder einsam gelegenen Telefonzellen zu sehen, von abgewrackten und von Vandalen verwüsteten Red Boxes. Wer sich für diese „Ikone“ Englands interessiert, dem kann ich dieses Buch sehr ans Herz legen.

John Timpson: Requiem For a Red Box. Pyramid Books 1989. 128 Seiten. ISBN 1-855-10008-8

Eine K6 in Limington (Somerset).    © Copyright Rossographer and   licensed for reuse under this Creative Commons Licence.

Eine K6 in Limington (Somerset).
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Das Tourist Information Centre in einer ausgedienten Telefonzelle in Wakeham (Dorset).    © Copyright Chris Downer and   licensed for reuse under this Creative Commons Licence.

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Published in: on 12. Juni 2014 at 02:00  Comments (1)  
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Kersall (Nottinghamshire) und „The Best Kept Phone Box in the World“

Copyright by Robert Ore. - With friendly permission by the author.

An der A 616, zwischen Newark-on-Trent und Ollerton in Nottinghamshire, liegt das kleine Dorf Kersall. In der knapp 100 Seelen zählenden Gemeinde gibt es eigentlich nichts zu sehen, aber doch kommen zahllose Touristen aus der ganzen Welt hierher, um sich… eine Telefonzelle anzusehen, “ The Best Kept Phone Box in the World„. Eigentlich ist diese aus dem Jahr 1936 stammende, rote, sogenannte K6-Zelle eine von vielen anderen, aber es gibt da eine Besonderheit, über die sonst keine andere britische Telefonzelle verfügt: In der Kersall Phone Box liegt ein Gästebuch aus, in das man sich eintragen kann und das haben tausende schon getan. Sogar das australische Fernsehen war schon da und hat einen Film darüber gedreht.

Abgesehen von dem ausliegenden Gästebuch (mehrere sind schon voll) wird die Telefonzelle liebevoll gepflegt, es stehen dort immer frische Blumen in einer Vase, Blumenkübel sind neben der Tür aufgestellt, es gibt einen Teppichboden und zu Weihnachten wird das Häuschen mit Lichterketten geschmückt. Wo gibt es so etwas sonst noch?
Aber: Der Name „Telefonzelle“ stimmt nicht mehr so ganz, denn es gibt hier kein Telefon mehr. Die British Telecom wollte die Box beseitigen lassen, weil die Einnahmen immer geringer wurden, aber die Einwohner Kersalls kämpften wie die Löwen und adoptierten sie, so dass BT zwar die Telefonanlage entfernte, die Zelle aber stehen ließ.

Wer sich für das Thema „Telefonzellen“ interessiert, dem kann ich eine Homepage empfehlen, auf der man zahlreiche Fotos und jede Menge Informationen finden kann: http://www.redphonebox.info/.
Robert Ore, dem ich auch das obige Foto verdanke, sammelt Telefonzellen und man kann sie sich alle auf seinen Webseiten ansehen.

Was man noch so alles mit roten ausgemusterten Telefonzellen machen kann, zeigt dieser Film.