Lady Norah Docker (1906-1983) – Eine Dame der High Society, die es verstand, sich überall unbeliebt zu machen

Photo: FleetStreetLondon.
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Am 23. Juni 1906 wurde in Derby in der Grafschaft Derbyshire Norah Royce Turner geboren. Sie lebte anfangs in einfachen Verhältnissen, verstand es aber, durch drei Ehen mit wohlhabenden Männern zu einer der reichsten Frauen der englischen High Society zu werden. Nachdem ihre deutlich älteren Ehemänner Clement Callingham und William Henry Collins gestorben waren, ehelichte sie den Industriellen Sir Bernard Dudley Frank Docker (1896-1978), den Vorsitzenden der Birmingham Small Arms Company und dessen Tochterunternehmen, der Daimler Motor Company.

Norah Docker fehlte es an nichts, sie konnte das reichlich vorhandene Geld mit vollen Händen ausgeben, aber anstatt mit einem gewissen Maß an Demut sich des Luxuslebens zu erfreuen, hatte sie sich ein sehr arrogantes Verhalten zugelegt, durch das sich manche vor den Kopf gestoßen fühlten. Fürst Rainier von Monaco wurde von ihr beleidigt, sie zerriss eine monegassische Fahne und ohrfeigte einen Angestellten der dortigen Spielbank. Daraufhin wurde Lady Docker des Fürstentums für alle Zeiten verwiesen, auch die anderen Städte der Côte d’Azur schlossen sich aus Solidarität an. Als sie und ihr Ehemann später ihren Wohnsitz auf die Kanalinsel Jersey verlegten, machte sie sich dort sehr unbeliebt, als sie die Bewohner als „the most frightfully boring, dreadful people that have ever been born“ bezeichnete.

Lady Nora Docker ist auch in die britische Automobilgeschichte eingegangen, indem sie das Interieur einiger Daimler-Fahrzeuge aus der Firma ihres Mannes entwarf. Kosten spielten für sie keine Rolle, die Materialien, die sie verwendete, waren außergewöhnlich bis exzentrisch. So verwendete sie für die Sitzbezüge des Golden Zebra genannten Daimlers Zebrafelle. The Gold Car war in Teilen vergoldet, die Seiten des Fahrzeugs waren mit 7000 goldenen Sternen verziert und es hatte seidene Sitzbezüge. Das Interieur des Daimlers namens Blue Clover war teils mit blauem Eidechsenleder ausgelegt. Der Silver Flash besaß ein Glasdach und sein Armaturenbrett war mit rot gefärbtem Krokodilleder bezogen. Krokodilleder und Seide wurde ebenfalls für die Innenausstattung des Star Dust verwendet. Hier ist ein Film über die Fahrzeuge.

Diese enormen Kosten, die für die Docker Daimlers genannten Fahrzeuge ausgegeben wurden, sind alle aus der Firmenkasse bezahlt worden, und irgendwann Mitte der 1950er Jahre war es des Guten zu viel. Sir Bernard wurde aller seiner Ämter entbunden, die Docker Daimlers eingezogen. Er musste später auch seine Yacht und sein Anwesen in Hampshire verkaufen.

1969 erschien das Buch „Norah: the autobiography of Lady Docker„, in dem die Dame ihr Leben aus ihrer Sicht darstellt.

Am 11. Dezember 1983 starb Lady Docker in London. Beigesetzt wurde sie auf dem Kirchhof von St. James-the-Less in Stubbings, einem kleinen Dorf westlich von Maidenhead in Berkshire, neben ihren beiden Ehemännern Sir Bernard Docker und Clement Callingham.

In diesem Film ist ein höchst merkwürdiges Interview mit Lady Docker aus den 1950er Jahren zu sehen.

Einer der Docker Daimlers: The Golden Zebra.
Photo: Zairon.
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Lady Norah Dockers letzte Ruhestätte: St James-the-Less in Stubbings (Berkshire).
Photo © Chris Brown (cc-by-sa/2.0)

Published in: on 19. April 2024 at 02:00  Kommentar verfassen  

Sir George Reresby Sitwell, 4th Baronet (1860 – 1943) – Ein englischer Exzentriker par excellence

Sir George mit Frau und Kindern, gemalt von John Singer Sargent.
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Sir George Reresby Sitwell, 4th Baronet (1860 – 1943) war ein Exzentriker par excellence. Er wohnte einen großen Teil seines Lebens auf dem Familiensitz Renishaw Hall in Derbyshire, der 1625 von einem seiner Vorfahren erbaut wurde und noch heute im Besitz der Familie ist.
Sir George war eine Zeit lang Parlamentsmitglied, schrieb viele Bücher, die nie veröffentlicht wurden und war schlichtweg ein komischer Kauz. So reiste er stets mit einem großen Vorrat an Medikamenten, alle fein säuberlich etikettiert, aber mit dem falschen Namen darauf. Sollte ihm jemand einmal seine Medikamente entwenden, so würde das dem Dieb nicht gut bekommen.

Die Schulgebühren für das Eton College, das sein Sohn Osbert besuchte, wollte Sir George mit Naturalien bezahlen, mit Schweinen und Kartoffeln von seinem Landsitz, worauf sich die College-Oberen aber nicht einließen.

Der Exzentriker von Renishaw Hall erfand auch so einige Dinge, die das Leben leichter machten, zum Beispiel eine musikalische Zahnbürste, die das Lied „Annie Laurie“ spielte und einen Miniaturrevolver mit dem man Wespen abschießen konnte. In einem Buch mit dem Titel „My Inventions“ fasste er alle seine Erfindungen zusammen.
Gäste, die ihn auf Renishaw Hall besuchten, erhielten gleich am Anfang eine Verhaltensregel mitgeteilt: „never to contradict me in any way as it interferes with the functioning of the gastric juices and prevents my sleeping at night„. So wussten alle gleich Bescheid wie sie sich ihrem Gastgeber gegenüber verhalten sollten.

Am liebsten vergrub sich Sir George in einem seiner vielen Arbeitszimmer und schrieb Bücher über etwas abwegige Themen wie „The History of the Fork„, „The Use of the Beds„, „Errors of Modern Parents“ und „Acorns as an Article of Medieval Diet„. So viel Mühe und Arbeit er auch darauf verwendete, keines wurde veröffentlicht.

Auch als Sir George Reresby Sitwell seinen Wohnsitz später nach Italien verlegte, setzte er seine Exzentritäten dort fort. Wenn ihn seine Familie in seinem mittelalterlichen Castello besuchte, bekam sie keinen Wein vorgesetzt, sondern abgekochtes kaltes Wasser. Sein Landverwalter wurde von ihm angehalten, Bewirtschaftungsmethoden anzuwenden, die man zuletzt im 14. Jahrhundert benutzt hatte.

Sir George war der Vater von drei Kindern, die später selbst einmal die Schriftsteller-Laufbahn ergreifen sollten:
Edith Sitwell , die auch ein Buch über Exzentriker schrieb: „English Eccentrics“ (dt. „Englische Exzentriker“)
Sir Osbert Sitwell
Sir Sacheverell Sitwell

Renishaw Hall und seine Gärten im Nordosten von Derbyshire sind heute zu besichtigen, das Haus allerdings nur mit geführten Touren. Geöffnet ist Renishaw Hall in diesem Jahr ab dem 20. März, der Eintrittspreis beträgt £10.
Siehe auch meinen Blogeintrag über den Renishaw Hall Vineyard.

Das Buch zum Artikel:
John Pearson: The Sitwells – A Family’s Biography. Harcourt Brace Jovanovich 1979. 534 Seiten. ISBN 978-0151827039. Das Buch ist vergriffen, aber problemlos antiquarisch zu erhalten.

Renishaw Hall.
Photo © Dave Pickersgill (cc-by-sa/2.0)

Published in: on 1. Februar 2024 at 02:00  Kommentar verfassen  

Make Politicians History und andere exzentrische Parteien des Rainbow George Weiss (1940-2021)

Manchmal hat man ja seine etablierten Parteien satt und sieht sich nach Alternativen um, wobei ich nicht an Parteien am linken oder rechten Spektrum denke. In Großbritannien hat es immer mal wieder mehr oder weniger ernsthafte Versuche gegeben, derartige Alternativen durch Parteineugründungen zu bieten; einige davon habe ich in meinem Blog bereits vorgestellt wie die Eccentric Party of Great Britain des Lord Toby Jug oder die Monster Raving Loony Party des Screaming Lord Sutch, dessen Nachfolger Alan „Howling Laud“ Hope sich die Parteiführung mit seiner Katze Catmando teilte.

In den 1980er Jahren entstand die Make Politicians History Partei, gegründet von dem exzentrischen Londoner Rainbow George Weiss (1940-2021), der bei einigen Wahlen antrat, allerdings mit sehr bescheidenen Erfolgen. Ronnie Carroll (1934-2015) war der Parteichef, vielleicht noch einigen bekannt als Vertreter Großbritanniens beim Eurovision Song Contest des Jahres 1962, wo er mit „Ring-a-ding-girl“ den vierten Platz verbuchen konnte. Seine Partei plädierte für die Auflösung des Parlaments, Volksentscheide sollten stattdessen im Zentrum des politischen Geschehens stehen. Rainbow George Weiss war in die Politik eingestiegen, nachdem er Kontakt mit einem Außerirdischen namens Sterling Silver gehabt haben will, der ihm wohl den richtigen Weg vorgegeben hatte.
Die Partei fungierte noch unter anderen Namen wie Rainbow Alliance, Rainbow Dream Ticket und Vote For Yourself Dream Ticket. Sie wollte das Pfund abschaffen und es durch eine Währung namens Wonder ersetzen, alle Schulden sollten erlassen, das Gesundheitswesen und die Bildung kostenlos angeboten werden. Zu den Randfiguren dieser Parteien gehörten eine kurze Zeit die Bordellbesitzerin Cynthia Payne und der Comedian Malcolm Hardee, die beide nicht mehr am Leben sind. Auch Russell Brand war einmal ein Anhänger von Rainbow George.
Rainbow George Weiss appellierte einmal an seine potentiellen Wähler, ihn nicht zu wählen, und dann zählte er alle Briten, die nicht an die Wahlurnen gegangen sind, zu seinen Unterstützern. Pfiffig, oder? Im Jahr 2009 wurde die Partei aufgelöst, irgendwie konnten sich die Briten doch nicht für sie erwärmen.

Dieser Film zeigt Rainbow George Weiss in einem Interview über seinen Freund, den Comedian Peter Cook (1937-1995).

Published in: on 23. Januar 2024 at 02:00  Kommentar verfassen  

Jean Alys Barker, Baroness Trumpington (1922-2018) – Eine humorvolle, leicht exzentrische Politikerin, die auf ein reichhaltiges Leben zurückblicken konnte

Die langjährige Wirkungsstätte der Baroness Trumpington, das House of Lords.
Photo: UK Parliament.
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Eigentlich ist es verwunderlich, dass die Memoiren der Jean Alys Barker, Baroness Trumpington, die im Jahr 2014 erschienen sind und die den Titel „Coming Up Trumps“ haben, nur 256 Seiten umfassen, denn die 1922 geborene englische Politikerin hat in ihren 96 Jahren so viel erlebt, dass sie locker mehrere Bände hätte schreiben können. Bei Erscheinen ihrer Autobiografie sagte sie einmal, sie verstehe gar nicht, warum so viel Aufhebens um das verdammte Buch gemacht wird, sie selbst hätte es weder geschrieben noch gelesen.

Ja, sie war schon eine ganz besondere und exzentrische Person, die da jahrzehntelang Politik gemacht hat. Stationen ihrer politischen Karriere waren unter anderem Bürgermeisterin von Cambridge, Parliamentary Under-Secretary of State for Health and Social Security, Ministerin füt Landwirtschaft, Fischerei und Ernährung, beides unter Margaret Thatcher, und Mitglied des britischen Oberhauses. Dort machte die Baroness Trumpington mehrfach durch ihre Auftritte von sich reden. So unterbrach sie einmal die höchst langweilige Rede eines Lords mit den Worten „If anyone wants a pee you should go now„. Als im Oberhaus Lord King eine Bemerkung über alt aussehende Überlebende des Zweiten Weltkriegs und eine Geste in Richtung der 89-jährigen machte, gab sie ihm das Victory-Zeichen wie in diesem Film zu sehen ist. Für Heiterkeit sorgte sie, als sie ein Pilotprojekt, dass sich mit der Verunreinigung der Bürgersteige durch Hundekot und deren Vermeidung befasste, ausgerechnet im Londoner Stadtteil Barking startete.
Als sie in den Adelsstand erhoben wurde, fragte sie der damalige Regierungschef John Major, warum sie denn ausgerechnet den Titel Trumpington ausgesucht hätte. Ihre Antwort lautete, sie kenne eigentlich nur zwei Orte recht gut, der eine sei Trumpington und der andere Six Mile Bottom (beides Dörfer in Cambridgeshire). Für welchen hätten Sie sich denn entschieden?
Die Baroness hatte auch kein Problem damit, als sie das Ressort für Gesundheit leitete, weiterhin Zigaretten zu rauchen. Im Alter von 79 Jahren hörte sie damit auf und sie wird mit den Worten zitiert “At the age of 80, there are very few pleasures left to me, but one of them is passive smoking.”

Im Alter von 95 Jahren verabschiedete sie sich vom Oberhaus und starb ein Jahr später am 26. November 2018. Bei ihrem Gedenkgottesdienst in der St Margaret’s Church in Westminster waren 700 Gäste geladen, darunter zwei ehemalige Premierminister und fünf Angehörige des Königshauses…und der Botschafter der Mongolei (sie hatte das Land mehrmals besucht und sich für eine finanzielle Unterstützung eingesetzt). Die Baroness hatte alles penibel seit Jahren geplant und jedes Detail genau aufgeschrieben. Bei der Feier im Mortlake Crematorium sollte niemand Trauerkleidung tragen, und es sollte eine ausgelassene Stimmung herrschen. Man wird sich wohl noch lange an diese außergewöhnliche Dame erinnern. Dieser kurze Film erinnert noch einmal an die Baroness.

Published in: on 23. November 2023 at 02:00  Kommentar verfassen  

Millican Dalton (1867-1947) – „Professor of Adventure“ und der Mann mit dem Tirolerhut

Der Eingang zu Millican Daltons Höhle im Castle Crag-Hügel.
Photo: MikeDempsey54.
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Irgendwann einmal entdeckte der Versicherungsangestellte Millican Dalton, 1867 in der Grafschaft Cumbria geboren, dass das Leben in London, wo er arbeitete, nichts für ihn war. Dalton fühlte sich immer als „Outdoorsman„, liebte die Natur, und so verließ er im Alter von 36 Jahren die britische Hauptstadt, nahm nur das Allernötigste mit und zog wieder nach Cumbria zurück, ins Borrowdale, wo er es sich in einer Höhle im Castle Crag-Hügel gemütlich machte. Nur in den kalten Wintermonaten ging er in den Süden Englands und lebte dort in einer Holzhütte.

Millican Dalton war ein genügsamer Mensch, er backte sein eigenes Brot, und die wenigen Kleidungsstücke, die er benötigte, fertigte er selbst an. Meist traf man ihn mit seinem geliebten Tirolerhut auf dem Kopf. Er nannte sich selbst „Professor of Adventure“ und war in der benachbarten Stadt Keswick eine bekannte Persönlichkeit. Millican war Vegetarier, trank keinen Alkohol und hatte eine pazifistische Lebenseinstellung. Zwei Laster hatte er: Starken Kaffee und Zigaretten der Marke Woodbine. Er führte Wandergruppen durch den Lake District, den er wie seine Westentasche kannte, organisierte Klettertouren und Floßfahrten und hatte eine gewisse Schwäche für junge Frauen, mit denen er gern auf Campingtouren ging. Milican Dalton nahm ungern Geld für seine Bemühungen, akzeptierte aber gern Woodbine-Zigaretten oder Lebensmittel.

1947 war ein besonders kalter Winter und der 79jährige war nicht mehr ganz so widerstandsfähig wie früher, und so holte er sich eine Lungenentzündung, an der er am 5. Februar 1947 in einem Krankenhaus in Amersham in Buckinghamshire starb.

Ein anderer Outdoorsman, Matthew David Entwistle, hat eine Biografie des Mannes vom Borrowdale geschrieben, die den Titel „Millican Dalton: A Search for Romance and Freedom“ trägt und deren zweite Auflage 2022 erschienen ist. Das Buch ist wesentlich umfangreicher als die erste Auflage aus dem Jahr 2004.

Peter Macqueen, „actor, writer and one-man theatre“, der Millican Dalton sehr ähnlich sieht, hat ein Theaterstück über ihn geschrieben, in dem er ihn selbst verkörpert, und dessen Trailer hier zu sehen ist.

Castle Crag. Photo © Trevor Littlewood (cc-by-sa/2.0)

Published in: on 20. April 2023 at 02:00  Comments (1)  

Exzentriker – Kim Joseph Hollick De La Taste Tickell (1917-1990) – Gastwirt im The Tickell Arms in Whittlesford (Cambridgeshire)

Photo © John Sutton (cc-by-sa/2.0)

Wenige Kilometer südlich der Universitätsstadt Cambridge liegt das Dorf Whittlesford, das über zwei Pubs verfügt. Einer heißt Bees in the Wall (was auch stimmt, denn in einer der Mauern des Hauses wohnen schon seit Jahrzehnten Bienen), der andere The Tickell Arms, benannt nach der Familie Tickell, die einst den Lord of the Manor stellte.

Gastwirt im letztgenannten Pub war in den 1970er und 1980er Jahre ein Nachkomme dieser Familie, Kim Joseph Hollick De La Taste Tickell (1917-1990). Sein Pub war im Großraum Cambridge berühmt-berüchtigt, denn Mr Tickell hatte genaue Vorstellungen, wen er als Gäste haben wollte und vor allem, welche nicht. An der Eingangstür hatte er angeschlagen, wer im Pub nicht willkommen war und dazu gehörten beispielsweise Jeansträger, Menschen mit linksgerichteten, politischen Ansichten, Ohrringe tragende Männer, hippieartige Individuen und unbegleitete Frauen. Einen „vernünftigen“ Haarschnitt sollte man auch haben, um im Pub bedient zu werden.
Hatte man alle diese Bedingungen erfüllt, betrat man den Schankraum, in dem oft ohrenbetäubend laut Wagnermusik gespielt wurde, die unser Gastwirt über alles liebte. Wenn an manchen Abenden die Gäste zur Schließungszeit nicht rechtzeitig den Pub verlassen hatten, schickte er auch schon mal seine Hunde hinein. Einmal legte sich der Wirt mit Arbeiterinnen der örtlichen Firma Phoenix Tinsel Products an, die Weihnachtsdekorationen herstellten, und warf ihnen vor, vulgäre Sprache zu benutzen und bediente sie nicht, woraufhin sie ihm die Hose herunterzogen. Es ging also hoch her im The Tickell Arms.

Kim Joseph Hollick De La Taste Tickell, der mit einem Deutschen namens Siegfried liiert war, pflegte morgens im Fischteich seines Gartens nackt zu baden, was ihm dann wohl den richtigen Schwung verlieh, seine Exzentrik den ganzen Tag über auszuüben.

Der heutige Pub ist im Good Pub Guide erwähnt, in meiner etwas älteren Ausgabe steht „Staff are neatly dressed and friendly“; es sind also wieder ruhige Zeiten eingekehrt in Whittlefords Pub.

The Tickell Arms
North Road, Whittlesford,
Cambridge, CB22 4NZ

Siehe auch meinen Blogeintrag über einen anderen „rude landlord“, Norman Balon vom The Coach & Horses in London.

Published in: on 26. Januar 2023 at 02:00  Kommentar verfassen  

Mein Buchtipp – Karl Shaw: Curing Hiccups With Small Fires

Foto meines Exemplares.

An Exzentrikern herrschte kein Mangel in Großbritannien. Da gab es liebenswerte Sonderlinge, die niemanden mit ihren verschrobenen Eigenheiten störten, aber auch richtige Stinkstiefel, die es ihrer Umgebung nicht gerade leicht machten. Viele Bücher sind über sie geschrieben worden, einige habe ich im Laufe der Jahre in meinem Blog vorgestellt.
Bereits 2009 erschien Karl ShawsCuring Hiccups With Small Fires: A Delightful Miscellany of Great British Eccentrics„, 2015 auch als Taschenbuch. Karl Shaw hat weitere Bücher mit humorvollen Inhalten geschrieben, ich denke da zum Beispiel an sein „Five People Who Died During Sex: And Other Terribly Tasteless Lists„.

Derjenige, der, wie im Buchtitel zu lesen ist, seinen Schluckauf mit Feuer bekämpft hatte, war einer der berühmt-berüchtigtsten Exzentriker überhaupt: „Mad“ Jack Mytton (1796-1834), der dabei seinen Schlafanzug in Brand steckte und starb. Der Mann trank eine Zeit lang sechs Flaschen Portwein am Tag. War gerade einmal kein Alkohol zur Hand tat es auch mal eine Flasche Kölnisch Wasser. Er besaß 700 Paar Stiefel und Hunderte von Jacken und Hosen, aber zur Jagd ging er manchmal nackt. Seine Jagdhunde hatten das Privileg, mit Steaks und Champagner gefüttert zu werden. Und das ist nur eine kleine Auswahl an Exzentrizitäten des Squires von Halston Hall in Shropshire.

Karl Shaw hat sein Buch in zehn Kapitel aufgeteilt, da gibt es die Exzentriker in der Politik, in den Wissenschaften, im Militär, im Adel und in der Kirche, um nur einige zu nennen. Ein weites Feld bilden die adeligen Sonderlinge wie Charles Howard, der 11. Duke of Norfolk (1746-1815), der nicht nur stinkend reich war, sondern auch tatsächlich stank, da er sich nie wusch. Seine Dienerschaft machte sich mit Wasser und Seife über ihn her, wenn er wieder einmal sturzbetrunken war und die Waschaktion nicht mitbekam.

Ich kann das Buch jedem empfehlen, der einen Nerv für diese absonderlichen Menschen hat und beim Lesen gern schmunzeln möchte.

Karl Shaw: Curing Hiccups With Small Fires: A Delightful Miscellany of Great British Eccentrics. Pan Books 2015. 298 Seiten. ISBN 978-0-7522-6572-8.

Published in: on 1. Januar 2023 at 02:00  Kommentar verfassen  

Englische Exzentriker – Dorothy Paget (1905-1960)

Hier am Nightingales Lane in Chalfont St Giles wohnte Dorothy Paget.
Photo © David Howard (cc-by-sa/2.0)

In meiner Lieblings-Grafschaft Buckinghamshire fuhr ich einmal den Nightingales Lane entlang, eine von Wäldern begrenzte Landstraße, die Little Chalfont mit Chalfont St Giles verbindet. Hier stehen die Anwesen, sie Grundstücke zu nennen, wäre untertrieben, weit auseinander; viele von ihnen sind mit hohen Eingangstoren versehen, so dass man die Häuser dahinter nur erahnen kann. Wer es sich leisten kann, am Nightingales Lane zu wohnen, der hat es zu etwas gebracht.

Dort, wo heute ein Apartmenthaus mit Luxus-Wohnungen namens Ellwood steht, wohnte und starb einmal in ihrem Haus Hermit’s Wood die steinreiche englische Rennpferd-Liebhaberin Dorothy Paget (1905-1960). Sie brauchte sich in ihrem Leben nie Geldsorgen machen, denn sie stammte aus einer äußerst wohlhabenden Familie. Ich werde auf ihre beiden Faible Rennpferde und Motorsport nicht weiter eingehen, sondern auf ihre sehr exzentrischen Gewohnheiten.

Dorothy Paget führte ein Leben, das ganz anders war als das des „Normalbürgers“. Sie frühstückte stets um 20.30 Uhr und nahm ihr Dinner morgens um 7 Uhr zu sich. Tagsüber schlief sie, nachts war sie wach und tätig. So kontaktierte sie zum Beispiel nachts ihre Buchmacher (sehr zu deren Leidwesen), um Wetten auf Pferderennen abzugeben. Dorothy wettete kurioserweise auch auf Rennen, die schon am Vortag stattgefunden hatten; da sie den ganzen Tag schlief, kannte sie die Ergebnisse ja nicht…und die Buchmacher ließen sich darauf auch ein.

Die Kettenraucherin (sie rauchte bis zu hundert Zigaretten pro Tag) legte auf ihr Äußeres keinerlei Wert. Sie trug immer einen formlosen Tweedmantel; war dieser nach jahrelangem Tragen fadenscheinig geworden, kaufte sie den gleichen erneut. Fuhr sie manchmal doch höchstpersönlich zu einem Rennen, so tat sie das mit zwei Rolls Royces im Konvoi, denn einmal war sie mit ihrem Luxusgefährt liegengeblieben und, um pünktlich zum Beginn des Rennens vor Ort zu sein, kaufte sie einfach einem Fleischer sein Auslieferungsfahrzeug ab und ließ sich damit zum Rennplatz kutschieren. Damit das nicht noch einmal passieren konnte, legte sie sich eben einen zweiten RR zu.

In Dorothys engstem Umfeld arbeiteten nur Frauen, denn sie konnte die Gegenwart von Männern nur schwer ertragen. Auch Besucher in Hermit’s Wood waren nicht erwünscht, was auch für Familienangehörige galt. Ziemlich vereinsamt starb die Exzentrikerin am 9. Februar 1960 in ihrem Haus an Herzversagen.

Graham Sharpe hat ein Buch über sie geschrieben: „Dorothy Paget: The Eccentric Queen of the Sport of Kings„, 2017 im Verlag Racing Post Books in Newbury (Berkshire) erschienen.

Published in: on 2. Oktober 2022 at 02:00  Comments (4)  

Englische Exzentriker – Peter Langan (1941-1988) – Restaurateur in London

Photo: markhillary.
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Im Jahr 1976 eröffneten der Schauspieler Michael Caine, der Chefkoch Richard Shepherd und der in Irland geborene Peter Langan (1941-1988) in der Stratton Street in Londons Stadtteil Mayfair gemeinsam ein Restaurant, das sie Langan’s Brasserie nannten. Was für eine Erfolgsgeschichte! Londons Prominenz ging hier jahrelang ein und aus; ob Mick Jagger, Elton John, Marlon Brando oder Jack Nicholson, die Reichen und die Schönen trafen sich in der Stratton Street, einmal um Richard Shepherds Gerichte zu genießen, andererseits, um sich überraschen zu lassen, was der exzentrische Peter Langan denn nun wieder treiben würde. Langan war Alkoholiker und soll täglich zwischen sieben und zwölf Flaschen Champagner getrunken haben. Hübschen jungen Damen in seinem Restaurant machte er hin und wieder das Angebot, wenn sie einen Striptease hinlegen würden, sie soviel Champagner trinken könnten wie sie wollten. Es soll durchaus ausziehwillige Damen gegeben haben, die sich dieses Angebot nicht entgehen lassen wollten. Manchmal fand man Peter Langan auch auf allen Vieren unter den Tischen wie er den weiblichen Gästen wie ein Hund in die Waden biss.

Peter hatte mit seinen prominenten Gästen keinerlei Berührungsängste und konnte schon sehr grob und unverschämt werden. Einmal soll er Prinz Albert von Monaco vor allen dessen Gästen gefragt haben „Stimmt es, dass Sie ein Scheiß-Schwuler sind?“ Ich bin mir nicht sicher, ob der Prinz dieses Etablissement noch einmal aufgesucht hat.

Eine Geschichte machte immer wieder die Runde. Als eine Dame in der Toilette eine Kakerlake fand und sich darüber bei Peter beschwerte, meinte der, dass diese Kakerlake tot sei, ihre eigenen im Restaurant aber quicklebendig wären, also könnte das Tier nicht von hier sein. Anschließend aß er es und spülte es mit einem Glas Champagner herunter.

Langan’s Brasserie hatte sich nicht nur durch das exzentrische Verhalten eines ihrer Besitzer in Londons Society einen Namen gemacht, sondern auch durch die vielen Kunstwerke namhafter Künstler, die in den Räumen aufgehängt waren, darunter Werke von David Hockney, Francis Bacon und Lucian Freud.

Peter Langan starb am 7. Dezember 1988 an den Folgen von Verbrennungen, die er bei einem Feuer in seinem Haus in Alphamstone in Essex erlitt. Es hieß, er hätte das Feuer selbst nach einem Streit mit seiner Frau entzündet.

Langan’s Brasserie gibt es noch immer unter diesem Namen in der Stratton Street, seit Oktober 2021 unter der Leitung von Graziano Arricale und James Hitchen, die das Restaurant komplett renoviert, aber Teile der „alten“ Brasserie mit übernommen haben.

Photo: BeeCeeMayfair.
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Published in: on 21. Juni 2022 at 02:00  Kommentar verfassen  

Exzentriker – Francis Henry Egerton, 8th Earl of Bridgwater (1756-1829)

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Geldprobleme kannte Francis Henry Egerton, 8th Earl of Bridgwater, nie. Er erbte den Titel von seinem Bruder und noch dazu ein beträchtliches Vermögen. Geboren wurde er 1756 in London; er genoss eine exzellente Ausbildung, zuerst in Eton dann in Oxford im Christ Church College, wurde Fellow im All Souls College, ebenfalls in Oxford, und trat in die Royal Society ein. So weit so gut, es hätte ein ganz normales, von wissenschaftlichem Arbeiten bestimmtes Leben werden können, doch der Earl hatte stark ausgeprägte exzentrische Züge, die ihn auf ganz andere Bahnen führten.

Eigentlich war Francis Henry Egerton auch zuständig für zwei Pfarrgemeinden in der Grafschaft Shropshire, aber darum kümmerte er sich so gut wie gar nicht und ließ die Aufgaben dort von einem Stellvertreter übernehmen.

Der Earl verließ sein Heimatland und zog nach Paris, warum ist nicht so ganz klar, denn er äußerte sich mehrfach, dass er die Stadt hasste. Er wohnte sehr komfortabel in der rue St Honoré in der Nummer 335, ein Haus, das er Hotel Egerton nannte. Und hier konnte er seine Exzentrik so richtig ausleben. Der Earl liebte Hunde und hatte viele davon. So war es ein Ritual im Hause Egerton, dass sich jeden Abend der Hausherr samt Hundeschar an einem langen Tische zum Diner einfanden. Jeder Hund hatte seinen eigenen Stuhl, trug eine Serviette um den Hals und wurde von einem der vielen Angestellten des Hauses bedient. Alle Vierbeiner trugen handgefertigte Lederschuhe. Obwohl der Earl den renommierten, französischen Koch André Viard eingestellt hatte, soll es jeden Abend nur gekochtes Rindfleisch mit Kartoffeln gegeben haben. Egerton war eben ein Engländer…

Er legte aber nicht nur auf die Schuhauswahl seiner Hunde wert, auch seine eigene stand im Zentrum seines Interesses. Jeden Tag trug er ein neues Paar, das er am folgenden Tag neben die getragenen der vorherigen Tage stellte, so konnte er am jeweiligen Verschmutzungsgrad noch nach längerer Zeit sagen wie das Wetter gewesen war.

Der Earl war in England ein leidenschaftlicher Jäger gewesen, ein „Sport“, den er in der Stadt Paris schwerlich ausüben konnte. Da sein Hotel Egerton aber über einen Garten verfügte, hielt er dort 300 Rebhühner, die er nach Lust und Laune erlegte.

Einmal soll Francis Henry Egerton eine längere Reise in die französische Provinz geplant haben, mit der die Hausangestellten schon wochenlang vorher beschäftigt waren. Als schließlich alles gepackt war, ging die Reise los: Der Earl und seine Hundeschar fuhren in einer Kutsche vorneweg, es folgten sechzehn weitere Kutschen, die alle mit Gepäck vollbeladen waren und dreißig Hausangestellte zu Pferd. Die Nachbarn in der rue St Honoré staunten nicht schlecht, als sie die Kavalkade abziehen sahen, sie staunten aber noch mehr, als alle einige Stunden später wieder zuhause waren. Angeblich soll der Earl bei der Suche nach einem Mittagessen außerhalb der Stadt so enttäuscht gewesen sein, dass kein Restaurant sein geliebtes gekochtes Rindfleisch auf der Speisekarte hatte, dass er entschloss, die Reise abzubrechen und in sein Hotel Egerton zurückzukehren, wo er sicher sein konnte, seine Lieblingsspeise vorgesetzt zu bekommen.

Der Exzentriker starb am 11. Februar 1829 in Paris, wurde dort aber nicht beigesetzt, sondern ganz in der Nähe des Familiensitzes Ashridge in Hertfordshire, in dem Dörfchen Little Gaddesden, wo die Egertons in der Kirche St Peter and St Paul eine Familienkapelle hatten. Sein Grabmonument hatte der Earl schon selbst entworfen, es zeigt eine Frau mit einem Elefanten, einem Storch und einem Delfin. Niemand weiß, was der Earl damit ausdrücken wollte.

Die rue St Honoré in Paris.
Photo: howardcho202.
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Das Grabmal des Earls in Little Gaddesden.
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St Peter and St Paul in Little Gaddesden (Hertfordshire).
Photo © Gerald Massey (cc-by-sa/2.0)
Published in: on 6. Mai 2022 at 02:00  Kommentar verfassen  

Reverend Francis Gastrell und sein angespanntes Verhältnis zu Stratford-upon-Avon in Warwickshire

St Laurence in Frodsham (Cheshire), wo der Reverend eigentlich zuhause war.
Photo © Alexander P Kapp (cc-by-sa/2.0)

Reverend Francis Gastrell war von 1740 bis zu seinem Tod im Jahr 1772 Vikar in der Pfarrgemeinde von St Laurence in Frodsham in der Grafschaft Cheshire. Trotzdem kaufte er im Jahr 1753 ein Haus in Stratford-upon-Avon in Warwickshire, eine Stadt, die ja nicht gerade um die Ecke liegt. Auf der Autobahn braucht man heute für die Strecke etwa zwei Stunden. Irgendwie muss er es geschafft haben, sowohl die Gemeindearbeit als auch die Zeit in der Shakespeare-Stadt unter einen Hut zu bringen.

Apropos Shakespeare: Der Reverend kaufte in Stratford New Place, das Haus, in dem der Barde einige seiner Werke schrieb und in dem er 1616 starb. Der Gottesmann aus Frodsham hatte sich vor dem Kauf nicht klar gemacht, dass das Shakespeare-Haus Anziehungspunkt für viele Besucher der Stadt war, und so nervte es ihn tierisch, dass immer wieder Leute kamen und über den Zaun sein Anwesen und den Maulbeerbaum betrachteten, den Shakespeare eigenhändig gepflanzt haben soll. Eines Tages packte ihn der Zorn, und er hackte den Baum einfach um und verkaufte das Holz. Das wiederum gefiel den Bürgern von Stratford-upon-Avon gar nicht, und so warfen sie ihm die Fenster ein. Die Eskalationsspirale drehte sich weiter: Gastrell hatte einen Antrag gestellt, seinen Garten zu erweitern, der aber abgelehnt worden war, dafür hoben die Behörden seine Steuern an. Jetzt reichte es dem Reverend; er riss New Place einfach ab und machte sich vom Acker ehe die empörten Bürger der Stadt am River Avon seiner habhaft werden konnten. Die Behörden rächten sich, in dem sie Gastrell und allen seinen Nachfahren verboten, die Stadt jemals wieder zu betreten. Schmollend zog sich der Reverend wieder zu seinen Gemeindeschäfchen nach Frodsham zurück.

Dort, wo New Place einmal stand, hat der Shakespeare Birthplace Trust einen Garten gelegt, indem die zahllosen Besucher der Stadt gern spazieren gehen.

Es gab noch einen anderen Francis Gastrell, der war aber Bischof von Chester und lebte von 1662 bis 1725. Also: Verwechslungsgefahr.

New Place in Stratford-upon-Avon, wo Shakespeares Sterbehaus einmal stand.
Photo © PAUL FARMER (cc-by-sa/2.0)
Published in: on 18. Februar 2022 at 02:00  Kommentar verfassen  

Reverend Edward Drax Free (1764-1843) – Ein Pfarrer der anglikanischen Kirche in Sutton (Bedfordshire), der dort 22 Jahre lang sein Unwesen trieb

Church of All Saints in Sutton (Bedfordshire).
Photo © John Sutton (cc-by-sa/2.0)

Edward Drax Free (1764-1843) studierte anfangs des 19. Jahrhunderts am St John’s College in Oxford. Er machte dort seinen Bachelor und Master, wurde sogar Fellow am College, doch sein soziales Verhalten war dermaßen schlecht (er war ständig betrunken und prügelte sich), dass er kurz vor dem Rauswurf stand. Wie war man froh, als er einen Posten als Vikar an Oxfords St Giles Kirche annahm. Als nach einiger Zeit die Church of All Saints in der Gemeinde Sutton in Bedfordshire einen neuen Pfarrer suchte, ging Edward Drax Free dorthin. Hätten die Gemeindemitglieder gewusst, wen sie sich da eingehandelt hatten…

Der Reverend steckte permanent in Geldschwierigkeiten, nahm immer wieder Kredite auf, die er nicht zurückzahlen konnte und sperrte manchmal für Monate seine Kirche zu, um untertauchen zu können und seinen Gläubigern zu entfliehen. Wenn er denn überhaupt Gottesdienste abhielt, machte er das kurz und bündig und hielt sich nicht lange mit Predigten auf. Manchmal wollte er seine Schäfchen sogar mit einer Geldstrafe belegen, wenn sie nicht zu seinen Andachten erschienen. Er verkaufte auch das Kupfer vom Kirchendach, um seine Spielschulden zu bezahlen zu können.

Edward Drax Free sprach nach wie vor sehr gern dem Alkohol zu und war häufig betrunken. In diesem Zustand, nehme ich jedenfalls an, schwängerte er fünf seiner Hausangestellten. Sex spielte für den Reverend eine wichtige Rolle, so brüstete er sich mit seiner Sammlung von pornografischen Schriften, die er im Pfarrhaus zusammengetragen hatte. Was die Gemeindemitglieder überhaupt nicht gut fanden, war, dass der Kirchhof (im wahrsten Sinne des Wortes) zu einem Schweinestall geworden war. Schweine trieben sich dort herum, scharrten Gräber auf, und auch Kühe und Pferde machten es sich dort gemütlich und störten manchmal die Beerdigungsfeiern. Die Menschen in Sutton waren „not amused“.

Als Free nach seinen Skandalen schließlich die Gemeinde verlassen sollte, dachte er gar nicht daran, sondern verbarrikadierte sich in seinem Pfarrhaus (dessen Einrichtung er vorher verkauft hatte) und schoss auf jeden, der sich näherte. Unter Leitung des zuständigen Bischofs hungerte ihn seine Gemeinde aus, so dass er nach 22 Jahren die Church of All Saints endgültig verlassen musste.

Auch Edward Drax Frees Ende war unrühmlich. Da niemand ihn mehr als Pfarrer haben wollte, ging es mit ihm steil bergab. Er trank nach wie vor und wurde 1843 (passenderweise) beim Verlassen einer Kneipe von einem Fuhrwerk überfahren.

Das Buch zum Artikel:
R.B. Outhwaite: Scandal in the Church – Dr Edward Drax Free, 1764-1843. Hambledon Press 1997. 180 Seiten. ISBN ‎ 978-1852851651
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Edward Drax Frees Alma Mater: Das St John’s College in Oxford.
Photo © Len Williams (cc-by-sa/2.0)

Published in: on 17. Januar 2022 at 02:00  Comments (2)  

Mein Buchtipp – Patrick Scrivenor: Mad Toffs

Foto meines Exemplares.

Warum gab/gibt es in Großbritannien so viele exzentrisch veranlagte Menschen? Und das auch noch besonders in den höchsten Kreisen. Kein Wunder, dass es eine ganze Fülle von Büchern gibt, die sich mit britischen Exzentrikern beschäftigen, einige davon habe ich in den letzten Jahren in meinem Blog vorgestellt. Hier ist ein weiteres: „Mad Toffs: The British Upper Classes At Their Best – And Worst“ von Patrick Scrivenor. Das 2016 erschienene Buch stellt eine Fülle von mehr oder weniger verrückten „toffs“ vor, was soviel wie „feine Pinkel“ oder „Aristos“ heißt, also abwertend für Aristokraten.

Ein Kapitel („Wayward Royal Behaviour„) befasst sich beispielsweise mit dem merkwürdigen Verhalten einiger Royals im Laufe der Jahrhunderte, bis in die Gegenwart, wo der kürzlich verstorbene Duke of Edinburgh mit so manchen spitzzüngigen Bemerkungen auffiel. So hatte er Helmut Kohl einmal mit „Reichskanzler“ angesprochen. In einer Unterhaltung mit dem US-amerikanischen Botschafter im Jahr 2000 sagte er „People think there’s a rigid class system here, but dukes have even been known to marry chorus girls. Some have even married Americans“. Ouch, das hat gesessen.

In dem Kapitel „Sex At The Top“ geht Patrick Scrivenor auf das sexuelle Verhalten des britischen Adels ein und da gibt es so viel zu berichten (…the sheer quantity of material could easily overwhelm a slim volume like this„), dass der berühmte Satz „No sex, please, we’re British“ ad absurdum geführt wird. So manche Blaublütige trieben es in ihren Landhäusern gern mit dem weiblichen Personal, oft zum Nachteil der jungen Damen, wenn die Affären ans Tageslicht kamen.

Das Titelbild zeigt übrigens Lionel Walter Rothschild, 2. Baron Rothschild, der gern mit einer von Zebras gezogenen Kutsche durch sein Anwesen Tring Park in Hertfordshire fuhr.
Ein höchst lesenswertes und amüsantes Buch!

Patrick Scrivenor: Mad Toffs: The British Upper Classes At Their Best – And Worst. Metro Publishing 2006. 218 Seiten. ISBN 978-1-78418-767-5.

Published in: on 16. Januar 2022 at 02:00  Kommentar verfassen  

Canon Wilfred Pemberton von St Michael’s in Breaston (Derbyshire) und der Psalm 119

Photo © Alan Murray-Rust (cc-by-sa/2.0)

Im Laufe der Jahre habe ich in meinem Blog schon eine ganze Reihe von exzentrischen, merkwürdigen Geistlichen vorgestellt, die in ihren jeweiligen Gemeinden mehr oder weniger beliebt waren. Ich denke da zum Beispiel an Reverend Frederick Densham aus Warleggan in Cornwall, der, weil keines seiner Schäfchen mehr seine Gottesdienste besuchen wollte, einfach Pappkameraden auf die leeren Kirchenstühle platzierte, oder an Reverend Robert Stephen Hawker aus Morwenstow in Cornwall, der seine Hauskatze exkommunizierte, weil sie an einem Sonntag auf Mäusejagd ging.

In diese Phalanx der Merkwürdigkeiten reiht sich auch ein Geistlicher aus der Gemeinde von St Michael’s in Breaston ein. Breaston liegt in der Grafschaft Derbyshire, direkt an der Autobahn M1, und ist nicht weit von Derby und Nottingham entfernt. Canon Wilfred Pemberton war Pfarrer an der Parish Church und das über einen sehr langen Zeitraum hinweg, von 1951 bis 1991. Die ältesten Teile von St Michael’s reichen bis in das 11. Jahrhundert zurück, während das meiste von ihr im 14. und 15. Jahrhunderten gebaut wurde.

Canon Wilfred Pemberton hatte eine spezielle Vorliebe für den Psalm 119, und ich glaube nicht, dass die Sonntagskirchgänger von Breaston diese Vorliebe teilten. Besagter Psalm ist mit 176 Versen der längste der Bibel, und ich kann mir vorstellen, dass die Gemeindemitglieder beim Betreten der Kirche am Sonntagmorgen mit ängstlichen Blicken auf die Tafel schauten, auf der die Gesänge des Tages angezeigt wurden. Stand da wieder einmal Psalm 119 dachte sicher der eine oder andere, Mist, meinen anschließenden geplanten Besuch im Pub kann ich vergessen. Mr. Pemberton verließ, nachdem die Anwesenden den Psalm angestimmt hatten, seine Kirche und beschäftigte sich zwischenzeitlich mit anderen Dingen wie dem Füttern seiner Hühnerschar und Säuberungsarbeiten im Pfarrhaus. Wenn er der Meinung war, dass sich das Absingen des Psalms langsam dem Ende zuneigte, machte er sich wieder auf den Weg in seine Kirche und setzte den Gottesdienst fort. Sicher verließen die Gemeindemitglieder St Michael’s mit tiefen Seufzern und steuerten ihre Häuser an, wo der Sonntagsbraten angerichtet werden musste.

Published in: on 22. November 2021 at 02:00  Kommentar verfassen  

Michael Edwards aka Eddie the Eagle – Der berühmteste Skispringer Englands

Author: Royal Navy Media Archive.
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Die spinnen die Finnen könnte man in Anlehnung an den Titel eines Asterix-Buches sagen, als in Finnland die Single „Fly Eddie, Fly“ eines Engländers namens Michael Edwards auf Platz 2 der Charts landete. Nirgendwo sonst in Europa erregte dieses Lied Aufsehen, auch nicht in Michaels Heimat. Unter seinem richtigen Namen kannten ihn auch die wenigsten, er war allgemein bekannt als Eddie the Eagle, der berühmteste (und bisher einzige) Skispringer Englands, der 1988 bei den Olympischen Winterspielen im kanadischen Calgary zwar nicht die Goldmedaille gewann, aber immerhin sowohl von der Großschanze als auch von der Normalschanze sprang…und jeweils Letzter wurde. Trotzdem gewann Eddie der Adler jede Menge Sympathie, die er auch ausnutzte, solange sein „Ruhm“ vorhielt.

Der im „Mammoth Book of Losers“ gelistete Skispringer, der bei keinen weiteren Olympischen Spielen antrat, nahm die oben genannte Single auf (trotz seiner Stimme, die in etwa der Qualität seiner olympischen Leistungen entspricht), und da man ihn in Finnland offensichtlich mochte, sang er auch noch auf Finnisch „Mun nimeni on Eetu„, was soviel wie „Mein Name ist Edward“ heißt und „Eddien Siivellä“ („Auf Eddies Flügeln“). Und dann brachte Eddie 1990 auch noch ein Buch auf den Markt mit dem Titel „On the Piste: Stories and Tales from the Slope„, das aus unerfindlichen Gründen heute bei Amazon USA zwischen $877 und $1000 gehandelt wird, während es bei Amazon UK schon für einen Penny zu haben ist.

Eddies Leben wurde sogar verfilmt und kam 2015 unter dem Titel „Eddie the Eagle“ (dt. „Eddie the Eagle – Alles ist möglich“) in die Kinos, mit Taron Egerton in der Hauptrolle. Hier ist der deutsche Trailer.

Stefan Raab holte Eddie the Eagle einmal in seine Show TV Total; hier ist sein Auftritt zu sehen.

Published in: on 8. Oktober 2021 at 02:00  Comments (1)  

Fanny Cradock (1909-1994) – Die erste Fernsehköchin Großbritanniens

Author: Allan warren.
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Sie besaß über viele Jahre Kultstatus in Großbritannien, Fanny Cradock, die erste Fernsehköchin des Landes. Die 1909 im Ost-Londoner Stadtteil Leytonstone geborene Phyllis Nan Sortain Pechey, durchlief ein turbulentes Leben mit mehreren Ehen, von denen einige, so heißt es, nicht durch eine Scheidung beendet wurden. Anfang der 1940er Jahre traf sie Major John Whitby Cradock, der lange ihr Partner war, bis die Beziehung erst 1977 in eine Ehe mündete. Sie und Johnny schrieben in den 1950er Jahren für den Daily Telegraph Restaurantkritiken, dann stiegen sie ins Fernsehgeschäft ein, erst bei der BBC mit der Kochsendung „Kitchen Magic„, dann bei ITV. In den 1960er Jahren wurde die Sendung in “Adventurous Cooking“ umbenannt. Beide traten vor der Kamera in ungewöhnlicher Kleidung auf, Fanny oft schmuckbehangen und in Abendkleidern, Johnny im Abendanzug. Johnny spielte in den Kochshows immer nur eine untergeordnete Rolle und bekam häufig von seiner Partnerin deren spitze Zunge zu spüren. Auch spätere Assistentinnen wurden ständig von Fanny herumkommandiert. Es war nicht ganz einfach, mit der exzentrischen Dame zusammenzuarbeiten. Im Jahr 1976 beendete die BBC die Zusammenarbeit mit ihr, das heißt, sie wurde hinausgeworfen, weil sie ihre „rudeness“ übertrieben und eine Mitköchin beleidigt hatte.

Fanny Cradock veröffentlichte eine Unmenge an Kochbüchern, schrieb bereits 1960 ihre Autobiografie „Something’s Burning“ und versuchte sich auch im Genre „Roman“ mit der mehrteiligen „Castle Rising„-Serie.

Glücklicherweise sind noch einige ihrer Kochshowauftritte im Film erhalten geblieben, so zum Beispiel ein ganz früher Auftritt mit Johnny als „Bon Viveur“ in Londons Royal Albert Hall (hier zu sehen) oder dieser Film, in dem Fanny auf etwas exzentrische Weise eine Weihnachtsgans behandelt.

Hier hat man im Namen „Craddock“ ein „D“ zuviel eingesetzt
Photo © John Davies (cc-by-sa/2.0)
Published in: on 3. Oktober 2021 at 02:02  Kommentar verfassen  

Englische Exzentriker – Bill Boaks (1921-1986)

In meiner Reihe über englische Exzentriker soll heute Bill Boaks (1921-1986) im Mittelpunkt stehen. Schon als Jugendlicher trat er in die Königliche Marine ein, bei der er es bis zum Oberstleutnant schaffte. Dreißig Jahre seines Lebens verbrachte er bei der Marine, doch als er seine erfolgreiche militärische Laufbahn beendet hatte, lief es nicht mehr so rund in Bill Boaks‘ Leben.

1951 strebte er einen Sitz im britischen Parlament an, wobei er kläglich scheiterte. Boaks war so ehrgeizig, bei Wahlen gegen den Premierminister Clement Attlee antreten zu wollen, der im Londoner Stadtteil Walthamstow kandidierte. Leider war der ehemalige Marineoffizier nicht sehr gut informiert, denn Attlee trat im Wahlbezirk Walthamstow West an, während sich Boaks in Walthamstow East registriert hatte. Klägliche 174 Stimmen, gleich 0,4%, erhielt er, was ihn aber nicht davon abhielt, es in den nächsten 31 Jahren immer wieder zu versuchen. Boaks war im ganzen Land unterwegs, von Bournemouth im Süden bis zur schottischen Metropole Glasgow, bei sämtlichen Wahlen und Nachwahlen fiel er durch. Am schlimmsten war es im Jahr 1982 als er bei Nachwahlen in Glasgow Hillhead ganze fünf Stimmen erhielt, gleich 0,0%.

Bill Boaks engagierte sich sehr für Frauenrechte und für Sicherheit im Straßenverkehr. Er propagierte, dass Fußgängern mehr Rechte als Autofahrern zugestanden werden sollten, indem alle Straßen als Zebrastreifen deklariert werden und Fußgänger immer Vorfahrt haben; der Frachtverkehr sollte auf Schienen verlagert werden. Alles Themen, die noch heute im 21. Jahrhundert aktuell sind und diskutiert werden. Doch Boaks machte sich bei seinen Mitmenschen durch die Methoden unbeliebt, mit denen er seine Ideen durchsetzen wollte. So ärgerte er Autofahrer tierisch, als er an Zebrastreifen eine Schubkarre voller Backsteine hin und her schob und damit den Verkehr erheblich störte. Dann setzte er sich mehrere Male in einen Liegestuhl auf die Überholspur des Westways in Kensington und las in aller Ruhe eine Zeitung, während der Verkehr um ihn herum brauste. Den größten Zorn zog sich Bill Boaks zu, als er einmal mit seinem Auto in Wembley kurz vor einem Fußballspiel England-Schottland an einem Zebrastreifen sämtliche Zuschauer vorüberziehen ließ (es sollen 100 000 gewesen sein) und dadurch einen Riesenstau verursachte.

Auch andere Aktionen des Exzentrikers fielen nicht auf fruchtbaren Boden. Als einmal Prinz Philip am Steuer seines Rovers, auf dem Beifahrersitz saß die Queen, einen Unfall verursachte, versuchte er die Königin wegen Beihilfe zur Tat vorladen zu lassen, was ihm natürlich nicht gelang.

Bei dem London to Paris Air Race der Daily Mail im Jahr 1959 nahm auch Bill Boaks teil…auf Rollschuhen, er kam allerdings nur bis zur Themse und gab dann auf (in diesem Film ist er ganz kurz zu sehen).

Auf der einen Seite vertrat Bill Boaks sehr vernünftige und vorausschauende Ideen, auf der anderen Seite gab er sich wiederum der Lächerlichkeit preis. So richtig liebgewonnen hatten ihn wohl nur wenige.

Published in: on 14. Juni 2021 at 02:00  Kommentar verfassen  

Englische Exzentriker – William Archibald Spooner (1844-1930), Gelehrter am New College in Oxford

Das New College in Oxford. Hier verbrachte William Archibald Spooner den größten Teil seines Lebens.
Photo © Nick Smith (cc-by-sa/2.0)

Wenn etwas in England „new“ heißt, bedeutet das noch lange nicht, dass es sich dabei um etwas wirklich Neues handelt. Viele der „New Inns“ sind älter als die anderen Pubs in der Umgebung wie der New Inn in Gloucester, der aus dem 14. Jahrhundert stammt. Ähnlich verhält es sich mit dem New College in Oxford, das 1379 gegründet wurde. An diesem College hielt sich William Archibald Spooner (1844-1930) mehr als 60 Jahre lang auf, als Gelehrter, als Dekan und als Warden.

Spooner war ein kauziger Typ, klein, mit einem zu großen Kopf für seinen Körper, wahrscheinlich ein Albino, sehr beliebt im Kollegium und bei den Studenten und hochintelligent. In Erinnerung geblieben ist er aber bis heute durch eine Marotte, die „spoonerism“ genannt wird und die das Cambridge Dictionary folgendermaßen definiert: „a mistake made when speaking in which the first sounds of two words are exchanged with each other to produce a not intended and usually funny meaning„. Das Wörterbuch gibt zur Erläuterung auch gleich ein Beispiel: „a scoop of boy trouts anstatt „a troop of boy scouts.

Zweifelhaft ist, ob wirklich alle damaligen „spoonerisms“ auf William Archibald zurückzuführen sind. Es machte den Studenten aber viel Spaß, sich neue auszudenken. Auf jeden Fall auf Spooner zurückzuführen ist der Spruch „Kinkering Congs Their Titles Take„, eine Hymne, die richtig „Conquering Kings Their Title Take“ heißt.
Sehr schön sind auch „It is kisstomary to cuss the bride“ (…customary to kiss the bride) und „three cheers for our queer old dean“ (…dear old queen“).

William Archibald Spooner starb am 29. August 1930 in Oxford, wurde aber nicht in der Universitätsstadt beigesetzt, sondern im fernen Grasmere (Cumbria) im Lake District. Dort ruht er auf dem Grasmere Cemetery an der Pye Lane unter einem Grabstein mit verwitterter Inschrift.

Zum New College in Oxford siehe auch diesen Blogeintrag.

Spooners letzte Ruhestätte: Der Grasmere Cemetery.
Author: m-gem
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Published in: on 18. Mai 2021 at 02:00  Comments (1)  

Englische Exzentriker – Sebastian Horsley (1962-2010), der Mann der sich kreuzigen ließ

When mother found out she was pregnant with me, she took an overdose…The overdose didn’t work. Had she known I would turn out like this she would have taken cyanide„, so beginnt die Autobiografie von Sebastian Horsley (1962-2010) „Dandy in the Underworld“ (dt. „Dandy in der Unterwelt“). Der Start ins Leben begann für den kleinen Sebastian als unerwünschtes Kind alles andere als gut. Er bezeichnete sich selbst als Dandy, arbeitete als Performancekünstler und Journalist für mehrere namhafte Tageszeitungen für die er regelmäßig Kolumnen schrieb.

Sebastian Horsley führte ein unstetes Leben; für Aufmerksamkeit sorgte sein Selbstversuch, sich wie Jesus kreuzigen zu lassen. Da so eine  Aktion in Großbritannien nicht möglich war, flog er auf die Philippinen, wo er Menschen fand, die ihn tatsächlich an ein Kreuz nagelten. Wer sich das ansehen möchte, es gibt einen Film davon, der nichts für schwache Nerven und hier zu sehen ist.

Horsley lebte überwiegend in London und hielt sich gern in Soho auf, wo er Prostituierte besuchte und auch selbst in dieser Branche arbeitete. Er äußerte sich einmal, das man Prostitution nicht legalisieren solle, weil dann der ganze Thrill  verloren gehen würde. In diesem Film spricht er über seine Einstellung zum Sex.
Drogen gehörten zu Sebastian Horsleys Leben und führten zu seinem Tod.  Er starb am 1. Juli 2010 in seiner Wohnung in der Londoner Meard Street Nummer 7 in Soho an einer Überdosis von Heroin und Kokain. Noch Jahre nach seinem Tod war ein Schild an der Eingangstür angebracht mit dem Text „This is not a brothel. There are no prostitutes at this address„, irgendwann ist das Schild abhanden gekommen.

Trotz seines ungewöhnlichen Lebenswandels hatte der oft in auffälliger Kleidung durch London spazierende Dandy viele Freunde, auch in Prominentenkreisen. Bei seiner Trauerfeier folgten Hunderte von Menschen dem Leichenwagen, der von schwarzen Pferden gezogen wurde. Der Trauerzug begann in der Meard Street und führte in die Kirche St James in Piccadilly. Stephen Fry hielt eine Rede auf seinen Freund, anwesend waren auch der Sänger Marc Almond und der Schriftsteller Will Self. Als der Sarg aus der Kirche getragen wurde, erklang der Song „20th Century Boy“ von Marc Bolan, dessen Musik Sebastian Horsley besonders mochte. Hier sind Bilder vom Trauerzug.

Die Meard Street im Londoner Stadtteil Soho.
Photo © Robin Webster (cc-by-sa/2.0)

Das Schild an der Meard Street Nummer 7 in Soho.
Author: Tom Coates from London
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St James in Piccadilly.
Photo © N Chadwick (cc-by-sa/2.0)

 

Published in: on 22. Februar 2021 at 02:00  Kommentar verfassen  
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John Elwes (1714-1789) – König der Londoner Geizhälse

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John Elwes wurde 1714 in eine Familie hineingeboren, die schon damals in Londoner Kreisen als extrem geizig galt, obwohl die Bankkonten gut gefüllt waren.
Seine wohlhabende Mutter soll an Unterernährung gestorben sein und sein ebenfalls gut betuchter Onkel sass oft abends vor dem Kamin, in dem lediglich ein Stückchen Holz brannte, und er ging dann im Dunkeln in sein Schlafgemach, um die Kosten für eine Kerze zu sparen.

Kein Wunder also, dass auch John Elwes auf diese Linie einschwenkte und sparte, was das Zeug hielt. Hier einige Beispiele:

– Er weigerte sich, dass seine Söhne eine gute Ausbildung erhielten, weil die ja dann auf die Idee hätten kommen können, Geld auszugeben, statt es zu behalten.

– Selbst bei scheußlichstem Wetter ging Elwes von einem Ende Londons zum anderen, damit er nicht ein paar Pennies für eine Kutsche ausgeben musste.

– Er soll angeblich eine Perücke getragen haben, die ein Bettler weggeworfen hatte und einen Mantel, der schon vor lauter Abnutzung schimmelgrün geworden war und den früher einmal ein Angehöriger dazu verwendet hatte, um ein Loch in der Wand zu stopfen.

– Wenn er London einmal verließ, nahm er immer ein oder zwei gekochte Eier mit, um nicht einkehren zu müssen, und er schlief dann immer im Freien unter einer Hecke. In einem Gasthof zu übernachten, kam für John Elwes nicht in Frage. Sein Pferd ließ er immer auf dem Gras neben der Straße laufen, damit die Hufeisen nicht so schnell abgenutzt wurden.

– John Elwes besaß mehrere Häuser in London und auch ein Anwesen in Suffolk, die er aber nicht möblierte; stattdessen nahm er immer ein paar Kleinmöbel mit, wenn er die Häuser aufsuchte.
Man könnte diese Liste seiner exzentrischen Handlungen noch lange fortführen. Zum Abschluss sei noch gesagt, dass als Elwes auf dem Sterbebett lag und er zusammen mit seinem Anwalt sein Testament aufsetzte, auch noch gespart wurde, denn der Anwalt durfte das Schriftstück nicht bei Kerzenschein aufsetzen, sondern musste sich mit dem schwachen Licht, das das Kaminfeuer warf, zufriedengeben.

Zehn Jahre war der Londoner Exzentriker und Ober-Geizhals Mitglied des Parlaments für Berkshire, und als er 1789 starb, hinterließ er seinen beiden unehelichen Söhnen und seinem Neffen £800,000, was einem heutigen Wert von £28,000,000 entspricht. Elwes kam mit rund £50 jährlich aus. Ich kann mir vorstellen, dass die Erben nachträglich keine Probleme mit dem Lebenswandel des lieben John hatten.

Als Charles Dickens 1843 „A Christmas Carol“ schrieb, soll John Elwes Pate für die Figur des Ebenezer Scrooge gestanden haben.

Das Buch zum Artikel:
Edward Topham & James Ridgway: The Life of the Late John Elwes, Esquire; Member in Three Successive Parliaments for Berkshire. BiblioBazaar 2010. 116 Seiten. ISBN 978-1140596066.

Hier in St John the Baptist in Stoke by Clare (Suffolk) liegt John Elwes begraben
Photo © Adrian S Pye (cc-by-sa/2.0)

 

Published in: on 17. Oktober 2020 at 02:00  Comments (5)  
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John „Mad Jack“ Fullers Pyramide in Brightling (East Sussex)

John „Mad Jack“ Fuller (1757-1834) war einer jener englischen Exzentriker, die sich auch auf dem Gebiet der „Follies“ hervortaten. Dazu erwählte er den Ort Brightling in East Sussex, südlich der A 265 gelegen, nordwestlich von Battle. Mit nur 23 Jahren wurde er schon für Southampton ins Parlament gewählt und war später MP für Sussex. Er legte sich mit dem Speaker des Parlaments an und machte sich in dem hohen Hause unbeliebt. Als Befürworter der Sklaverei war er auch nicht überall gern gesehen.

Aber zurück zu seinen Follies. Mehrere davon stehen in Brightling unter anderem ein 14 Meter hoher Obelisk, ein griechischer Tempel und ein Observatorium. Ich schrieb in meinem Blog darüber.

23 Jahre vor seinem Tod baute er sich ein Mausoleum in Form einer Pyramide auf dem Friedhof der Kirche St. Thomas à Becket in Brightling. Fast 8 Meter hoch ist die Pyramide und die Legende sagt, daß Mad Jack darin an einem Tisch sitzt, in voller Montur mit einem Zylinder auf dem Kopf, vor sich auf dem Tisch ein gegrilltes Hähnchen und eine Flasche Portwein. So soll er auf den Tag der Auferstehung warten.
1982 fand man bei Renovierungsarbeiten heraus, dass diese Legende eben nur eine Legende war. Mad Jack Fuller ist in der Pyramide auf herkömmliche Weise beigesetzt. Schade!

Ein Pub in Oxley’s Green (East Sussex), nur ein Stückchen von Brightling entfernt, ist einmal nach dem Exzentriker benannt worden; aber den gibt es nicht mehr.

Die Church St. Thomas à Becket in Brightling.
Photo © N Chadwick (cc-by-sa/2.0)

Der einstige Jack Fuller, in Oxley’s Green, leider gibt es den Pub nicht mehr.
Photo © N Chadwick (cc-by-sa/2.0)

Englische Exzentriker – William Powell aus London, ein Mann, der auf ungewöhnliche Weise die Welt retten wollte

Der steile Highgate Hill.
Photo © Robert Lamb (cc-by-sa/2.0)

William Powell war ein Finanzbuchhalter in London, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lebte. Er war ein unauffälliger, sparsamer Mann, der zuverlässig tagein, tagaus seinem Beruf nachging. All das änderte sich, als er in der Lotterie einen Gewinn von £500 erzielte, was zu jener Zeit sehr viel Geld war. Von da an vernachlässigte er seine Arbeit, wurde aufsässig und gab sein gewonnenes Geld mit vollen Händen aus. Das Resultat: Ihm wurde gekündigt und bald war auch der Lotteriegewinn wie Schnee in der Sonne geschmolzen.

William Powell zog in ein Armenhaus in der Sloane Street und hatte plötzlich eine konfuse Idee. Jeden Tag machte er sich von der Sloane Street, heute im Stadtteil Kensington and Chelsea, zum Highgate Hill im Norden der Stadt auf. Dort angekommen, besann er sich einen Augenblick, reckte die Arme in den Himmel und rannte ohne Unterbrechung den Hügel hinauf. Wenn er es in einem Zug schaffte, war er zufrieden und konnte beruhigt in die Sloane Street zurückkehren. Wurde er jedoch auf dem Weg angesprochen oder sein Lauf auf irgendeine andere Weise unterbrochen, ging er wieder zum Ausgangspunkt zurück und begann seinen Lauf erneut. Was steckte hinter diesem merkwürdigen Ritual, das William Powell bei Wind und Wetter jeden Tag ausübte? Nach seiner Meinung würde die Welt in dem Moment aufhören zu existieren, wenn er es nicht den Highgate Hill in einem Rutsch hinauf schaffen sollte. Er war also täglich nur zum Wohle der Menschheit im Londoner Norden unterwegs. An einem schönen Frühlingstag des Jahre 1798 erlitt William Powell bei einem seiner Läufe eine Herzattacke und starb auf dem Highgate Hill. Glücklicherweise für uns alle blieb die Welt nicht stehen.

Die Straße Highgate Hill, die B519, ist heute eine vielbefahrene Route, die sich von der Archway Road, der A1, entlang des Highgate Cemeteries, zur Highgate High Street hinaufführt.

Zu William Powells Zeiten sah es hier ganz anders aus.
Photo © Martin Addison (cc-by-sa/2.0)

 

Published in: on 4. April 2020 at 02:00  Kommentar verfassen  
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Englische Exzentriker – Mark McGowan alias Chunky Mark alias The Artist Taxi Driver

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Mark McGowan, 1964 in London geboren, ist ein Performance Künstler, und um diese sehr spezielle Kunstform zu betreiben, muss man schon über eine gehörige Portion Exzentrik verfügen. Seine „Kunst-Stücke“ sind witziger und abstruser Natur, machen aber immer wieder nachdenklich. Er ist auch unter den Namen Chunky Mark und The Artist Taxi Driver bekannt (er verdiente sich einige Jahre lang ein Zubrot als Taxifahrer). Durch seine bizarren Acts will der Künstler auf unkonventionelle Weise auf Dinge hinweisen, die ihm wichtig sind. Hier sind einige dieser exzentrischen Kunstwerke:

Chips and Beans. Bei dieser Aktion verbrachte Mark McGowan zwölf Tage in einer Badewanne, die mit gebackenen Bohnen und Tomatensoße gefüllt war, dazu hatte er sich ein sieben Pfund schweres Wurstpaket auf den Kopf geschnallt und sich zwei Pommes Frites in die Nasenlöcher gesteckt. Zweck der ganzen Aktion: Nachdem ein italienischer Freund einmal das britische Frühstück kritisiert hatte, wollte sich McGowan in ein solches verwandeln, um für dieses „kulinarische Kulturgut“ zu demonstrieren. Die Badewanne war im Schaufenster einer Londoner Galerie aufgestellt.

Where’s Daddy’s Pig“ hieß einer der McGowanschen Acts, der darin bestand, dass er ein Spielzeugschweinchen auf Rädern auf allen Vieren durch die Straßen Londons bis zum Parlamentsgebäude schob, um auf die katastrophale Lage des englischen Gesundheitswesens aufmerksam zu machen.

In „Monkey Nuts“ demonstrierte Mark McGowan gegen die hohen Studiengebühren im Land; dazu schob er eine Erdnuss mit der Nase viele Kilometer quer durch London bis vor die Tür von No. 10 Downing Street, wo er die Nuss übergab und dafür eine Tasse Tee angeboten bekam.

Der Künstler steht der königlichen Familie sehr kritisch gegenüber, und dafür ließ er sich zwei Performance Acts einfallen; der eine hieß „Artist Eats Swan, wobei er gegen ein Privileg verstoß, das nur der Königin vorbehalten ist (die meines Wissen aber noch nie einen Schwan gegessen hat), und der andere hieß „Eating The Queen’s Dogs„, da verspeiste er einen der von der Queen so heiß geliebten Corgis (das Tier soll eines natürlichen Todes gestorben sein und natürlich nicht der Königin gehört haben). McGowan protestierte damit  gegen Prince Philip, der bei einer Jagd einen Fuchs erschlagen haben soll.

Published in: on 23. Oktober 2019 at 02:00  Comments (1)  
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Lord William John Cavendish-Scott-Bentinck – Musterbeispiel eines englischen Exzentrikers

Welbeck Abbey.
Photo © Chris (cc-by-sa/2.0)

Wenn es eine Hitliste der exzentrischsten englischen Adligen geben würde, so stünde Lord William John Cavendish-Scott-Bentinck, der 5. Duke of Portland ganz oben an. Er lebte von 1800 bis 1879 und sein Wohnsitz war in Nottinghamshire, wo er die riesige Welbeck Abbey bewohnte, das heißt er, bewohnte nur wenige Räume. In diesen Zimmern hatten die Türen jeweils zwei Schlitze, einen für die eingehende Post und einen für die ausgehende. Der Duke mochte nämlich niemanden von seinem Personal sehen; so wurde auch das Essen täglich hindurchgereicht, ein halbes Brathähnchen zum Mittagessen und die andere Hälfte zum Abendessen.

Der Herrscher der Welbeck Abbey verfügte über sehr viel Geld, das er auch mit vollen Händen ausgab; so beschäftigte er tausende von Arbeitern, die unter seinem Anwesen ein regelrechtes Labyrinth von Gängen gruben, u.a. auch eine zwei Kilometer lange Passage, die von Gaslaternen erhellt wurde und die so breit war, dass zwei Kutschen aneinander vorbeifahren konnten. Dann ließ er einen riesigen unterirdischen Ballsaal bauen, den größten in ganz Europa, der nie genutzt wurde.  Ferner fanden sich dort unten eine große Bibliothek und ein Billiardsaal.

Wenn der Duke of Portland sein Haus verließ, was er am liebsten nachts tat, dann musste jemand von seinem Personal vierzig Meter mit einer Laterne vor ihm her gehen. Auch seine Kleidung war recht exzentrisch: Er trug beim Verlassen des Hauses zwei Mäntel, einen extrem hohen Hut und führte einen so großen Regenschirm mit, dass er sich darunter weitgehend vor anderen Menschen verbergen konnte.

Am 6. Dezember 1879 starb der Herzog in seiner Londoner Residenz, Harcourt House und wurde auf dem Friedhof von Kensal Green im Norden Londons in einem einfachen Grab beigesetzt.

Ein Besuch der State Rooms ist an einigen Tagen des Jahres möglich (für dieses Jahr sind schon alle Tickets ausverkauft. Auf dem Gelände der Abbey sind u.a. die School of Artisan Food, sowie die Portland Collection und die Harley Gallery untergebracht (beide kostenlos zugänglich).

Hier sind Luftaufnahmen der Abbey zu sehen.

Tunneleingang.
Photo © Graham Hogg (cc-by-sa/2.0)

Harcourt House am Londoner Cavendish Square. Hier starb Lord Cavendish.
Photo © Nigel Cox (cc-by-sa/2.0)

Erotica der viktorianischen Zeit Teil 1 – Henry Spencer Ashbee (1834-1900) und seine Sammlung erotisch/pornografischer Literatur

Henry Spencer Ashbee.
This work is in the public domain.

Ich kann mich noch an meine Studentenzeit in Hamburg erinnern, als ich einmal ein Buch in der Staats- und Universitätsbibliothek ausleihen wollte, das im Katalog mit dem Vermerk „Sekretiert“ versehen war. Auf meine Frage, was das denn bedeuten sollte, bekam ich die Antwort, dass man besagtes Buch erotischen Inhalts nur mit Erlaubnis einer befugten Person in der Bibliothek ausgehändigt bekommt. Also ging ich zu dieser Person, die mir dann gnädigerweise die Erlaubnis erteilte (ich glaube, es handelte sich um den Roman „Candy“ von Terry Southern).

Auch in der Bibliothek des British Museums gab es einmal eine Abteilung sekretierter, erotischer Literatur namens Private Case, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts eingerichtet und wie Fort Knox bewacht worden war, damit kein Unbefugter sie zu sehen bekam. Rund 4000 Bände umfasste die Sammlung erotischer/pornografischer Literatur damals.

Ein großer Teil dieser Bücher stammt aus der Schenkung von Henry Spencer Ashbee (1834-1900), der in der viktorianischen Zeit ein fanatischer Sammler pornografischer Literatur war (er sammelte nebenbei auch noch Erstausgaben des „Don Quixote“ von Cervantes). Mr Ashbee reiste viel und von diesen Reisen brachte er immer wieder neue Bücher pornografischen Inhaltes mit, so dass er zu seiner Zeit schließlich weltweit die größte Bibliothek an Erotica besaß.

Damit er einen Überblick über seine vielen tausend Bücher behielt, machte er sich daran, sie alle zu katalogisieren und mit Anmerkungen zu versehen. Diese Bibliografie pornografischer Literatur umfasste mehrere Bände.

Als Henry Spencer Ashby im Jahr 1900 starb, hinterließ er seine Cervantes-Erstausgaben dem British Museum, allerdings mit der Auflage, dass die Bibliothek auch seine Erotica-Sammlung mit übernehmen müsse, was diese auch tat, aber in ihrer Private Case-Abteilung verschwinden ließ. 1973 ging diese spezielle Büchersammlung vom British Museum in den Besitz der British Library über. Heute gibt es keine Restriktionen mehr und die Bücher können im Lesesaal der Bibliothek genutzt werden.

In der Sammlung findet sich auch das Buch „Harris’s List of Covent-Garden Ladies“ über das ich in meinem Blog schon einmal geschrieben habe.

Über Henry Spencer Ashbee ist ein Buch geschrieben worden: „The Erotomaniac: The Secret Life of Henry Spencer Ashbee“ von Ian Gibson; erschienen 2002 im Verlag Faber&Faber. ISBN 978-0571209040.

Foto meines Exemplares.

 

 

Published in: on 7. August 2019 at 02:00  Kommentar verfassen  
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Englische Exzentriker – Sir Mansfield George Smith-Cumming (1859-1923), erster Chef des Auslandsgeheimdienstes

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Hätte Mansfield Smith (nach seiner Heirat fügte er den Nachnamen Cumming an seinen eigenen an) als junger Mann nicht ständig Probleme mit der Seekrankheit gehabt, so wäre er in der Royal Navy vielleicht eines Tages Admiral geworden. Aber mit dieser Einschränkung musste er seine Karriere in der Marine aufgeben. Also schlug der 1859 geborene Mansfield George Smith-Cumming einen anderen Weg ein, der ihn im Jahr 1909 an die Spitze des neu gegründeten Auslandsgeheimdienstes Secret Intelligence Service führte, besser als MI6 bekannt. In seinen Geheimdienstjahren nannte man ihn kurz “C” (für „Cumming“), was Ian Fleming inspirierte, in seinen James Bond-Romanen, den MI6-Chef „M“ zu nennen.

Smith-Cumming war ein Original mit stark ausgeprägten exzentrischen Zügen. Er war ein Liebhaber von Autos der Marke Rolls Royce und einen von ihnen fuhr er 1914 zu Bruch, wobei sein Sohn ums Leben kam. Gern prahlte er immer wieder mit der Geschichte, dass er bei dem Crash eingeklemmt worden war und sich selbst ein Bein mit einem Taschenmesser amputierte, um seinen Sohn aus dem Unfallauto zu befreien. Das war frei erfunden, denn die Amputation nahm einen Tag später ein Chirurg im Krankenhaus vor. Smith-Cumming lief also sein Leben lang mit einem Holzbein herum. Dieses Holzbein spielte eine Rolle bei der Auswahl zukünftiger Geheimdienstagenten. Bei den Bewerbungsgesprächen stach er sich unvermittelt mit aller Gewalt in sein Bein (von dessen hölzerner Struktur der Kandidat natürlich nichts wusste). Zuckte der Bewerber zusammen, hatte er keine Chance den angestrebten Agentenjob zu bekommen. Reagierte er gelassen, stiegen seine Chancen dagegen rapide an.

„C“ war sehr daran interessiert wie seine Agenten untereinander kommunizierten, und da kam einer von ihnen auf die Idee wie dabei eine ganz besondere „Geheimtinte“ eingesetzt werden konnte: Sperma. Smith-Cumming fand das genial. Jeder männliche Agent hatte diese „Tinte“ ständig abrufbereit bei sich und musste sie nur durch einen einfachen Prozess ans Tageslicht fördern. Diese Form der Geheimschrift hatte aber keine Zukunft bei MI6, auch James Bond wandte sie meines Wissens nie an.

Der exzentrische Geheimdienstboss trug gern ein goldenes Monokel und liebte seinen Stockdegen (ein Spazierstock mit einem verborgenen Degen).
Wer sich für Sir Mansfield George Smith-Cumming näher interessiert und wer mehr von seinen ungewöhnlichen Gepflogenheiten wissen möchte, dem sei das Buch „The Quest for C: Mansfield Cumming and the Founding of the Secret Service“ von Alan Judd empfohlen, das 2000 bei HarperCollins erschienen und noch lieferbar ist.

Das heutige MI6-Hauptquartier in London.
Photo © David P Howard (cc-by-sa/2.0)

Published in: on 2. August 2019 at 02:00  Kommentar verfassen  
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Englische Exzentriker – Reverend Franke Parker aus Luffincott (Devon)

St James’s in Luffincott.
Photo © Tiger (cc-by-sa/2.0)

Luffincott ist eine Gemeinde im Westen der Grafschaft Devon, in der es eigentlich nichts zu sehen gibt. Das „Highlight“ ist die 1975 außer Betrieb genommene Kirche St James’s, um die sich der Churches Conservation Trust kümmert. Zu erreichen ist sie nur über einen schmalen einspurigen Weg, nebenan steht das Luffincott Barton Farmhaus. Einöde pur.

In dieser Kirche wirkte im 19. Jahrhundert der Reverend Franke Parker (1803-1883), exakt von 1838 bis zu seinem Tod. Er war Junggeselle und lebte hier allein, St James’s war sein ein und alles, und er betrachtete die Kirche als seinen Privatbesitz. Der exzentrische Reverend beschäftigte sich mit Vorliebe mit okkulten Dingen und mit Satanismus. Vielleicht lag es an der einsamen Lage seines Arbeitsplatzes, dass er nach und nach verwirrter wurde. Manchmal hielt er sich für einen Hund und agierte auch so, und kurz vor seinem Ableben ließ er seine Kirchengemeinde wissen, dass er plante, als Tier wieder zurückzukommen, wobei er offen ließ ob als Hund, Ratte oder weißes Kaninchen. Um dem vorzubeugen, beerdigte man den Reverend besonders tief auf dem Kirchhof. Franke Parker schien sich im Jenseits aber umbesonnen zu haben, denn er wurde nicht als Tier sondern nach wie vor als Geistlicher gesichtet, erst in der Rectory, die 1911 abgebrannt ist, und dann auch noch im Umfeld von St James’s.

Reverend Franke Parker hinterließ seine umfangreiche Büchersammlung dem Bistum von Cornwall, die vor einigen Jahren bei Sotheby’s für £400 000 versteigert wurde.

Dieser Weg führt zu der einsamen Kirche.
Photo © Derek Harper (cc-by-sa/2.0)

Published in: on 7. Juli 2019 at 02:00  Comments (1)  
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Englische Exzentriker – Stanley Green, der einsame Kämpfer gegen die fleischliche Lust auf der Londoner Oxford Street

Author: Sean Hickin. This work is licensed under the Creative Commons Attribution 2.0 License.

Author: Sean Hickin.
This work is licensed under the Creative Commons Attribution 2.0 License.

Stanley Green (1915 – 1993) war 25 Jahre lang ein Original, ohne das man sich die Londoner Oxford Street kaum vorstellen konnte. Diese Straße war nämlich sein Arbeitsplatz, auf der er tagaus, tagein entlang marschierte und sein Anliegen vorbrachte, das ihn sein Leben lang beschäftigte: Der Verzicht auf Protein.
Auf einer großen Tafel, die er inmitten der vielen Menschen auf der Londoner Shopping-Meile hochhielt, stand:
Weniger Lust durch weniger Protein: Fleisch, Fisch, Geflügel, Eier, Käse, Erbsen, Bohnen, Nüsse…und Sitzen„.

Der „Protein-Mann“ sah in der „fleischlichen Lust“ (hier ist nicht das Essen gemeint!) das Grundübel der Menschheit. Enthaltsamkeit bis zur Hochzeit forderte er, und das wäre viel leichter zu erreichen, wenn man auf proteinhaltige Nahrungsmittel ganz oder zumindest teilweise verzichtet, und auf das Sitzen (?).

Er kam mit dieser Forderung natürlich nicht bei allen Menschen gut an, so zog er sich den Zorn so mancher jungen Dame zu, die er belehrte „In Deiner Hochzeitsnacht wird es zu spät sein, Deinen Mann davon zu überzeugen, dass Du noch Jungfrau bist, obwohl das nicht mehr zutrifft„.

Stanley Green verkaufte auf seiner „Oxford-Street-Missions-Tour“ auch eine kleine Broschüre, in der er die Vorzüge des Verzichts auf proteinreiche Nahrung noch einmal erläuterte. „Eight Passion Proteins with Care„, so der Titel der Broschüre, die er selbst herstellte, und von der er in 20 Jahren 87 000 Exemplare absetzte.

Der „Protein-Mann“ schaffte es sogar in das renommierte „Oxford Dictionary of National Biography„, in dem ein Eintrag über ihn zu finden ist. Nach seinem Ableben erschienen in einigen großen englischen Tageszeitungen Nachrufe auf ihn.

Was wäre England ohne seine mal mehr, mal weniger liebenswerten Exzentriker? In diesem Film ist Stanley bei einem Interview auf der Oxford Street zu sehen (ab 30.55 Minuten).

Der englische Musiker Martin Gordon schrieb im Jahr 2013 einen Song mit dem Titel „Stanley Green“, hier zu hören.

Published in: on 30. Juni 2019 at 02:00  Kommentar verfassen  
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Die Agapemoniten – Eine skurrile, religiöse Sekte, die im ländlichen Somerset gegründet wurde

Die Agapemone Chapel. Hier in Four Forks bei Spaxton in Somerset hatte sich die Sekte niedergelassen.
Photo © Derek Harper (cc-by-sa/2.0)

Agapemoniten, das klingt wie der lateinische Name für irgendwelche Urzeittierchen; stimmt aber nicht, das war ein Name, den sich Reverend Henry Prince 1846 ausgedacht hatte und was soviel wie „Heimstätte der Liebe“ bedeutet. Der Reverend hatte sich mit der anglikanischen Kirche in die Haare gekriegt, weil er behauptete er sei der Messias, was wiederum die Church of England gar nicht lustig fand. Also ging der Reverend seiner eigenen Wege und gründete in dem kleinen Dorf Spaxton (genauer gesagt in Four Forks) im ländlichen Somerset seine eigene Kirche. Warum auch immer fand der selbsternannte Messias eine ganze Menge Anhänger, besser gesagt Anhängerinnen, die sich wie 120 Jahre später im Fall Charles Manson in Kalifornien, um ihn scharten.

Da gab es einmal die älteren, wohlhabenden Frauen, die für eine solide finanzielle Basis der Sekte sorgten und die auf dem Anwesen in Spaxton in Cottages wohnten, und dann gab es die jungen hübschen Frauen, die bei dem Reverend im Haupthaus bleiben durften. Und da seine Sektenanhänger ja den netten Namen Agapemoniten trugen, sorgte Prince dafür, dass die „Heimstätte der Liebe“ auch zu einer solchen wurde, indem die jungen Damen das Bett mit ihm teilen durften, was sie wohl auch gern taten. Dass dabei das eine oder andere Kind entstand, störte den Messias nicht.

Vielleicht war es dem Reverend in dem entlegenen Spaxton zu ruhig geworden, denn er übersiedelte mit seiner Fangemeinde Ende des 19. Jahrhunderts nach London, in den Stadtteil Upper Clapton, wo er, jetzt schon über 80 Jahre alt, eine Kirche erbauen ließ, The Ark of Covenant. Das Geld dafür spendeten zwei ältere Damen. 1899 starb Prince im Alter von 88 Jahren.

Seinen Platz nahm schnell ein anderer Reverend ein, der sich als „The Heavenly Bridegroom“ bezeichnete: John Hugh Smyth-Pigott. Auch er sammelte ein Heer von jungen Frauen um sich, denen er im Bett seinen messianischen Segen spendete. London war aber nicht Spaxton, und so regte sich in der Bevölkerung der Stadt Widerstand gegen ihn, daher musste er aufpassen, dass es ihm nicht an den Kragen ging. Sicherheitshalber zog er mit seinen jungen „Bräuten“ zum Gründungsort der Agapemoniten zurück, wo man die Sekte in Ruhe ließ. Nach Smyth-Piggots Tod im Jahr 1927 gab es niemanden mehr, der in die Fußstapfen der beiden abtrünnigen Reverends treten wollte, und so dämmerten die verbliebenen Agapemoniten vor sich hin, bis ihr letztes Mitglied 1956 verstarb.

Im Jahr 2016 geriet die Sekte noch einmal kurz in die Schlagzeilen, als die Urenkelin von Reverend Smyth-Piggott die £1 Million für sich beanspruchte, die der Verkauf der Kirche in Upper Clapton eingebracht hatte, doch ein Gericht sah das anders, und überließ das Geld  Wohlfahrtsorganisationen. In der Kirche in der Rockwod Road ist heute die Georgian Orthodox Church untergebracht.

Das Buch zum Thema:
Aubrey Menen: The Abode of Love: The Conception, Financing and Daily Routine of an English Harem in the Middle of the 19th Century. Penguin 1990. 176 Seiten. ISBN  978-0140123463.

The Ark of Covenant, jetzt die Georgian Orthodox Church in der Rookwood Road in Upper Clapton (London).
Photo © John Salmon (cc-by-sa/2.0)

Published in: on 17. Juni 2019 at 02:00  Kommentar verfassen  
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Warleggan in Cornwall und der exzentrische Reverend Frederick W. Densham

St Bartholomew's in Warleggan heute.   © Copyright roger geach and licensed for reuse under this Creative Commons Licence.

St Bartholomew’s in Warleggan heute.
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Warleggan am Rande des Bodmin-Moores war einmal eines der abgelegensten Dörfer Cornwalls, bis man 1953 eine Straße dorthin baute. Wahrscheinlich hätte kein Mensch jemals etwas von diesem Mini-Dorf gehört, wenn es nicht einen Pastor gegeben hätte, der eindeutig in die Kategorie „Exzentriker“ gehörte.
Reverend Frederick W. Densham kam 1931 im Alter von 61 Jahren als neuer Pastor nach Warleggan und war von nun an für die Gemeinde St. Bartholomew’s zuständig. Probleme zeichneten sich schnell ab. Die religiösen Vorstellungen der konservativen Gemeindemitglieder deckten sich nicht mit denen des Reverends.
Der Pastor schaffte den traditionellen Kartenspieltag im Pfarrhaus ab, ebenso wie die Sonntagsschule. Er weigerte sich, seinen Schäfchen die Hand zu geben, und als er auch noch die Kirchenorgel abschaffen wollte, weil er keine Orgelmusik mochte, war das Maß voll für die Bewohner Warleggans. Von jetzt ab boykottierten sie die Kirche des Reverends. Einige besuchten anglikanische Kirchen in der Nachbarschaft, andere wiederum wandten sich der methodistischen Kirche zu. Auch eine Eingabe beim Bischof von Truro, Densham abzulösen, wurde abschlägig beschieden.
Reverend Densham störte sich nicht weiter an dem Boykott. Er ließ einen Stacheldrahtzaun um sein Haus ziehen und predigte sonntags eben allein in seiner Kirche, das heißt, er soll Pappkameraden auf die Kirchenstühle gesetzt haben, um dem Gottesdienst einen „normalen“ Anstrich zu geben.

Eines Tages fand man den einsiedlerischen Pastor tot in seinem Haus vor; er wurde 83 Jahre alt. Wieder ein Exzentriker weniger. Die damalige Rectory ist mittlerweile in Wohnungen aufgeteilt worden und soll „badly haunted“ sein.

Diese Geschichte bildete übrigens die Grundlage für den Spielfilm „ A Congregation of Ghosts(hier ein kurzer Ausschnitt), der im Jahr 2009 unter der Regie von Mark Collicott entstand, mit Edward Woodward in der Hauptrolle.

Der Kirchhof von St Bartholomew’s.
Photo © Eric Foster (cc-by-sa/2.0)

Published in: on 10. April 2019 at 02:00  Comments (4)  
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